Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freunde und Bekannte von Eva Rosenstiel,
liebe Eva,
ardin des plantes hat Eva Rosenstiel diese Ausstellung genannt, die wir heute gemeinsam eröffnen. Und mit diesem Titel bezieht sich die Künstlerin auf einen botanischen Garten im Südosten von Paris befindet. Er liegt am südlichen Ufer der Seine und vielleicht zehn Gehminuten von der Cité Internationale entfernt. Für die Cité hatte Eva Rosenstiel 2009 ein halbjähriges Stipendium erhalten und seither ist sie jedes Jahr für ein paar Wochen in die Cité und in den Jardin des plantes zurückgekehrt. Diesen Garten hat sie auf ihren Streifzügen durch die Stadt entdeckt. Tatsächlich ist Eva Rosenstiel ein Flaneur, eine passant im Sinne Baudelaires, Marcel Prousts oder Walter Benjamins, d.h. eine Spaziergängerin, eine aufmerksame Beobachterin, die die Natur und Städte durchstreift und, wo immer sie sich auch befindet, das fotografiert, was ihr auffällt. Mit wenigen Ausnahmen sind das keine spektakulären Momente oder besonders schöne Ansichten, sondern es sind Bilder des Alltags, ganz einfache Blicke auf Wiesen und Gärten, Häuserfassaden und Schaufenster, also auf all das, was einem aufmerksamen Spaziergänger am Rande eines Weges oder einer Straße begegnet. Eva Rosenstiel nimmt diese Fotos mit einer Kleinbildkamera auf und lässt sie im Format 10 x 15 cm im sogenannten Paradiesformat entwickeln (so der Werbeslogan einer Drogeriekette, die wir alle kennen) – und diese kleinformatigen Fotoabzüge sind gewissermaßen die Urzelle oder auch Keimzelle ihrer künstlerischen Arbeit – bzw. wie Nicoletta Torcelli dies vor kurzem formuliert hat: Sie sind die DNA des Werks von Eva Rosenstiel.
Diese kleinformatigen Aufnahmen werden in ihrem Atelier in Paris – oder auch zuhause - weiterbearbeitet. D.h. hier in ihren Ateliers, beginnt – normalerweise – überhaupt erst das künstlerische Eingreifen in die sogenannte „Realität“, die sie in den Fotos erfasst hat. In einigen Werkgruppen, gerade auch in den hier gezeigten, geht sie jedoch anders vor – doch darauf komme ich später noch zurück). Normalerweise aber beginnt eben erst im Atelier die eigentliche künstlerische Transformation. Zum Beispiel, indem Eva Rosenstiel mit Öl- und Acrylfarben malerische Akzente direkt auf die kleinformatigen Abzüge setzt. Das ist tatsächlich ein sehr ungewöhnliches Verfahren. Diese malerischen Eingriffe beziehen sich auf das Farb- und Formvokabular, das sie in den Fotografien vorgefunden hat. Zwischenzeitlich bilden diese künstlerisch veränderten Paradiesformat-Fotografien ein Archiv aus Hunderten, ja Tausenden bearbeiteter Fotografien. Aus diesem gewaltigen Fundus wählt Eva Rosenstiel immer wieder Motive aus, die sie nochmals weiterbearbeitet, und zwar in verschiedenen Formaten und mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Techniken. Einen winzig kleinen Ausschnitt aus der ungeheuren Fülle dieses kleinformatigen Bildarchivs finden sie hier, in diesen beiden Karteikästen, die sich in ihrer Bedeutung für das Werk schon fast wie eine kleine Skulptur präsentieren. Für viele ihrer Werkgruppen ist diese Vorgehensweise der Ausgangspunkt. In dieser Ausstellung zeigt Eva Rosenstiel jedoch Arbeiten, die gewissermaßen in einem umgekehrten Prozess entstanden sind.
Doch bevor ich genauer darauf eingehe, möchte ich Ihnen die Künstlerin selbst vorstellen.
Hier ist sie: Eva Rosenstiel. Sie stammt aus Hüfingen bei Donaueschingen und hat nach einem Studium für Textildesign Malerei und Kunstgeschichte in Karlsruhe und Freiburg studiert. Professor Peter Dreher war ihr Lehrer. Er wurde vor allem durch seine Serie Tag um Tag ein guter Tag bekannt, in der er ein einfaches Wasserglas täglich neu gemalt hat unter den sich ständig verändernden Lichtbedingungen. Das Gas stand jedoch immer am selben Ort in seinem Atelier in St. Märgen entstanden, das Eva Rosenstiel vor kurzem übernehmen konnte. Doch nicht nur das verbindet sie mit ihrem Lehrer, sondern auch die Liebe zu Serien, meist im kleinen Format, und auch das Interesse an Landschafts- und floralen Motiven. Gemeinsam ist ihnen auch die Notwendigkeit der täglichen, ja alltäglichen künstlerischen Arbeit: Es gibt nur wenige Nichtmaltage im Leben von Eva Rosenstiel. Mit ihrem ganz besonderen Einbezug der Fotografie in ihr Werk und ihrem malerischen Duktus hat sie jedoch einen ganz anderen und eigenständigen Weg eingeschlagen, mit dem sie einen spannenden Beitrag leistet zu einem neuen Verständnis und einem so noch nicht gesehenen Verschränken von Fotografie und Malerei, von Kopie und Original.
Eva Rosenstiel ist eine höchst produktive Malerin. Wer zumindest einige ihrer Ausstellungen in den letzten Jahren, z.B. in Freiburg, gesehen hat, kann erahnen, was für ein vielgestaltiges, ja gewaltiges und sich stets weiter verzweigendes Werk die Künstlerin in den letzten zwanzig Jahren geschaffen hat. Beeindruckend ist nicht nur die pure Anzahl und die überwältigende Fülle der in dieser Zeit entstandenen Arbeiten. Es beeindruckt auch die Konsequenz, mit der Eva Rosenstiel künstlerische Fragestellungen in Serien vertieft und auslotet, bis ein Thema gewissermaßen zu Ende bearbeitet scheint – und sie dieses Thema zu einem späteren Zeitpunkt aber wieder aufgreift, um es in anderen Zusammenhängen, Formaten, Materialien und Techniken in neuen Versuchsanordnungen weiter zu bearbeiten – und zwar mit der ihr eigenen, spielerischen, oft auch humorvollen Experimentierfreude. Tatsächlich generiert Eva Rosenstiel ein komplexes, zwischenzeitlich auch selbstreferentielles System, das sich vexierbildartig immer weiter entwickelt und den Betrachter durchaus auch vor irritierende Fragen stellen kann, z.B. vor die Frage: Was auf diesen Bildern ist Realität und was ist pure Abstraktion? Oder: Wann und wie beginnt der künstlerische Eingriff?
Doch nun zurück zu dieser Ausstellung und zu den Bildern in diesem Raum. Wir sehen Fotografien, die Eva Rosenstiel im Jardin du plantes aufgenommen hat. Hier hat sie die Motive jedoch nicht, wie in anderen Werkgruppen und wie bereits besprochen, einfach in natura abfotografiert, sondern sie hat die Aufnahme selbst manipuliert, indem sie aus der Insektenperspektive in einen kleinen, in den Garten gestellten Spiegel fotografiert hat. Auf diesem Spiegel hatte sie zuvor bunte Farbkleckse aufgetragen. In den Fotografien dieser Serien sind es also weniger die Pflanzen, die sich so farbenfroh zeigen und diese bunte Blütenfülle und fröhliche Lebendigkeit suggerieren, sondern diese sind von der Malerin mit einfachen bunten Farbflecken inszeniert. Eva Rosenstiel zieht uns hier in einen Zaubergarten, in dem wir uns, wie Alice im Wunderland, oder wie in einem Traum, in künstlich-fremden Welten verlieren. Und auch erst bei genauem Hinsehen erkennen wir, wo der Blick in den Spiegel beginnt und wo wir tatsächlich die „Realität“ vor uns sehen.
Diese im präparierten Spiegel aufgenommenen Fotos werden in der Serie Neues von Blumen weiterbearbeitet. Hier ist der künstlerische Eingriff noch radikaler und die Verschränkung von Fotografie und Malerei noch mehrschichtiger, so dass gemalte und fotografierte Pflanzenmotive und Farbflecken nur bei eingehender Betrachtung zu unterscheiden sind. Das Verfahren ist sehr komplex. Es beginnt damit, dass Eva Rosenstiel einzelne Bildpartien auf der fotografischen Vorlage mit Farbe abdeckt und diese Fotografien wiederum malerisch weiterbearbeitet. Mit dieser Methode entstehen beeindruckende, farbstarke und wie schwebend wirkende Kompositionen mit abstrakten und naturalistischen Elementen, fotografierten und gemalten Motiven, die Eva Rosenstiel abschließend mit in Öl gesetzten Kontrapunkten vervollständigt.
In der Serie Aout wiederum, aus der Sie drei Beispiele im Treppenhaus sehen können, sind die Basis ebenfalls die in einen manipulierten Spiegel fotografierten Gartenaufnahmen. Hier wurden die Fotos jedoch schwarzweiß abgezogen und anschließend mit zarten oder pastosen Farbaufträgen weiterbearbeitet. Auch hier bekommen die Fotografien durch die leuchtenden Farben auf dunklem Grund etwas Wunderbares, Zauberhaftes. Es ist wie ein Blick in eine noch nicht deutlich erkennbare, aber dennoch bekannte und zugleich fremde Welt. Die Blätter der Pflanzen erinnern an Landschaften im frühen Morgen- oder hellen Mondlicht. Diese kleinen Arbeiten sind verlockend und irritierend zugleich.
Eva Rosenstiel liebt, wie schon angedeutet, das künstlerische Experiment, das Arbeiten in Serien, und ein weiterer künstlerischer Seitenzweig der jardin des plantes Fotografien ist die silberfarbene Serie, die Sie ebenfalls in dieser Ausstellung entdecken können. Hier hat sie auf silberfarben behandelten Fotokopien einzelne Pflanzenteile mit Tusche oder Graphit hervorgehoben, die sich wie ein Ornament vor silbernem Grund abheben.
Vom jardin des plantes inspiriert sind auch die Graphitzeichnungen auf weißem Grund, die Sie in den oberen Räumen sehen können. In ihrer überraschenden Klarheit und Strenge wirken sie wie ein Kontrapunkt zu dem farbstarken und lebendigen Bouquet der Arbeiten in den unteren Räumen.
Diese Graphit-Zeichnungen auf den herausgeschnittenen Innenseiten von Passepartouts, also auf ganz bewusst gewähltem armen Material, eigentlich einem Abfallprodukt, zeigen organische Formen, die an Blätter, Früchte, Zweige, oder Wurzeln erinnern. Diese Zeichnungen bilden ein eigenes Universum im Werk von Eva Rosenstiel, und dennoch schreibt sie mit diesen Zeichnungen, wie Dietrich Röschmann dies so treffend formuliert hat, das Struktur- und Formenvokabular fort, das sie in ihrer Malerei durch beständiges Überarbeiten in immer abstrakteren Wendungen und Vermittlungen aus der Tiefe ihrer Bildgründe geholt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke möchte ich meine Ausführungen beenden. Sie kennen es vermutlich alle. Es heißt der Panther und hat den Untertitel Jardin des Plantes. Denn es war die Menagerie in diesem Garten, die ihn in seiner Pariser Zeit 1902 – 1910 zu diesem Gedicht inspirierte. Heute ist diese Menagerie ein weitgehend tiergerecht geführter Zoo: Der Panther. Jardin des plantes
Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe
so müd geworden, das er nichts mehr hält
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte
der sich im allerkleinsten Kreise dreht
ist wie ein Tanz um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf – Dann geht ein Bild hinein
geht durch der Glieder angespannte Stille
und hört im Herzen auf zu sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen nun, dass Sie wie ein Panther in Freiheit durch diesen bildnerischen jardin des plantes streifen, höchst aufmerksam und hellwach. Und ich wünsche Ihnen viel Freude an diesem sehr lebendigen Bildergarten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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