I.
Eigentlich hat es mit der Lust an den alltäglichen Bildern und ihren Zumutungen
zu tun, doch geht es Eva Rosenstiel beim Malen mehr noch um
das Umgehen mit dem Material des Künstlers, der Künstlerin im Atelier.
Es geht ihr um die Konzentration, um das Sich-Festhalten an einem Bild,
einer Tafel, um das Projekt des Malens entlang eines Wegs, der eigentlich
kein Ziel hat. Oder ein Ziel, von dem man nichts weiß, außer dass es
nur als Prozess erfahren werden kann. Malen, das ist auch ein Prozess
gegen und mit den Bildern, die heute allgegenwärtig, ebenso vergänglich
wie flüchtig sind und in einer Weise auf den Einzelnen hinein brechen, wie
sie die Geschichte der Menschheit bislang nicht gekannt hat, verwoben
mit allen Raffinessen der ästhetischen, psychologischen, marketingstrategischen,
technischen, wissenschaftlichen, kulturellen wie das Bewusstsein
formenden Erkenntnisse. Bilder umweben das Denken, das Verhältnis
zur Realität mit einem neuen Netz, einer zweiten, anderen, von Menschen
gemachten, von Bildern gestützten Wirklichkeit, die auch für die
Malerin das Verhältnis zu den Dingen, zum Bild betrifft.
Was also wie malen? Das Sehen sei eine Lust, sagt Eva Rosenstiel, das
Umgehen mit Farben eine furiose Entdeckungsfahrt. Der Weg, den sie für
sich entwickelt hat, ist getragen zunächst von einer Recherche in jenem
unendlichen „Magazin“ der Bilder, das unsere Gegenwart auszeichnet. Es
sind Fotografien, ob selbst aufgenommen oder gedruckte gefundene Bilder
in Werbeanzeigen und Zeitschriftenberichten. Es sind Bilder, die belanglos
erscheinen: Hotelzimmer mit „Hasenschlag“-Kissen, zwei junge Frauen in
einem Bett, Frachtcontainer aus der Vogelsperspektive, eine Frau im Müll,
der Blick in einen Modeschmuckladen, Fotos von Bäumen, glitzernde Lichtreflexe,
das Gewirr von Grashalmen am Wegesrand.
Dabei ist es, weitestgehend, nicht der Gehalt des Bildes, sein Bildgegenstand,
und eine wie auch immer geartete vorgefundene Aussage, die
malend kommentiert wird. Es ist vielmehr die leichte, technisch gegründete
Verfügbarkeit der Fotografie, die die Realität in eine flächige Erscheinung
verwandelt. Und es sind jene Fotos im „Paradiesformat“, die zum Ausgangspunkt
der Recherche in den letzten Jahren werden. Vieles, was sie
sieht und fotografisch festhält, hat mit Natur zu tun. Mit Tusche und Pinsel,
Filzstift und Farbe, greift Eva Rosenstiel in die Fotografien ein, retouchiert,
überdeckt das ihr Unwichtige, löst einzelne Strukturen aus ihrem Zusammenhang.
Das für sich bedeutungslose Bild enthüllt unversehens ihm innewohnende
Kräfte der Form, gestaltende Akzente, die bei oberflächlicher
Betrachtung kaum zu Tage treten, aber dennoch wirken. Abstrakte Formkräfte
werden sichtbar, ein Arsenal an Bilderstrukturen bzw. Bildvorwürfen,
die man in der Kunstgeschichte vergeblich suchen würde. Hinzu kommen
Bildserien, in denen ein Formdetail ihr Interesse weckt und den sie dann
unabhängig vom gegenständlichen Bezug über die gesamte Fläche des
Papierabzugs fortentwickelt und ausdehnt. Nicht als mechanische Fortschreibung
sondern als vielgestaltige Variationen: Ein „Magazin“ in hunderten
von Miniaturen im Format 10 x 15 cm, ein Paradies der zu ermalenden
Strukturen, die einer weiteren Form- und Farbanalyse unterzogen werden.
II.
Als Malerin ist Eva Rosenstiel eine Archäologin der Farben und Formen, die
sie in mechanisch technisch hergestellten Bildern wie Fotos oder Tintenstrahldrucken
entdeckt. Sie selbst sagt über ihr Vorgehen: „Dieses zunächst
kleinformatige Bildergebnis wird mittels Scanner und Tintestrahldruck vergrößert
und auf Aluminium aufgebracht. Jetzt gleich gestellt wiedergegeben,
lässt sich nicht mehr sicher unterscheiden, was ursprünglich fotografische
Vorlage und was aufgebrachte Malerei ist. Eine zusätzliche Verbindung
dieser beiden Medien wird durch einen weiteren Arbeitsgang angestrebt,
indem ich die gesamte Oberfläche mit im Bildmaterial gesehenen zeichenartigen
Strukturen überarbeite. Dieser Prozess bedeutet für mich auch eine
Art ‘Schürfen’ in der Bildmaterie, da die farblichen Veränderungen beim
Anlösen des Bildgrundes immer überraschende Entdeckungen provozieren“. Das Prinzip von Eva Rosenstiels Arbeit besteht in der malenden und
zeichnenden Reaktion auf vorgefundene bzw. im Prozess der Malerei stets
neu zu entdeckende Strukturen. Dabei geht es jedoch nicht darum, das
Vorhandene abzumalen und wiederum vergrößert in ein Gemälde zu überführen.
Dem Widerspruch zwischen materieller Substanz des Bildes und
der Suggestion der Erscheinung geht Rosenstiel dann in einem weiteren
Schritt nach: „Obwohl die Arbeit auf den ersten Blick eher digital bearbeiteten
Charakter hat, interessiert mich ausschließlich die manuelle
Beschäftigung mit der Bildoberfläche“. Indem sie die Fotografien überarbeitet,
verunklärt Eva Rosenstiel ihre illusionistische Suggestion, bricht
gleichsam die Herrschaft des Kameraobjektivs, seine Scheinobjektivität und
Indifferenz gegenüber der Realität. Die Relativierung der fotografischen Bilder
durch Überarbeitung findet so in den Tiefenstrukturen der Illusion neue,
andere bildlichen Erfahrungen. Die Entdeckungsreisen durch die Farbschichten
der Drucke sensibilisieren für Farb- und Formstrukturen, die sie in
einem weiteren Schritt in autonome Malerei überführt.
Wichtig ist dabei die Arbeit, die manuelle Beschäftigung. Wichtig ist die
Gewissheit der handelnden, mithin körperlichen Präsenz, deren Spur sich in
der Zergliederung der Illusion niederschlägt. Und wichtig ist auch die formale
Kontrolle der Farbakkorde, der Verdichtungen, des Lasierens – bei gleichzeitiger
Vertreibung des Vorwurfs aus dem Bild – durch sanftes Erkunden der
Farben, das sich in netzartigen Strukturen entfaltet, die manchmal wie Linsen
ungesehene Einblicke in die Tiefenschichten des Bildes gewähren. Im
Verschwinden der scheinhaften Dingwelt wird so, befördert durch Farblust
und Malsucht, auch nach der Relevanz des künstlerischen Handelns gefragt,
zweifelnd zwar am Warum in diesem Moment der Allgegenwart der Herrschaft
der intentionalen Bilderwelten. Doch erscheint Malerei hier dann als
Geste gegen persönliche Bindungslosigkeit, unabdingbar als Form des
Festhaltens des Selbst, als individuelle Verobjektivierung im Wissen um die
Sintflut des elektronisch Produzierten und des im Eigentlichen nicht Fassbaren
des Alltäglichen im normalen Lebensvollzug.
III.
Eva Rosenstiel sucht keine Virtuosität in der Pinselführung, und kaum signifikante
Stilidentität, die man mit abstrakt oder realistisch umschreiben
könnte. Im Prinzip galt dies auch schon für die Zyklen, in denen sie Gräser
und Bambusstauden zum zentralen Motiv ihrer Arbeit machte. Es sind
Gemälde, oft mit dem Begriff „Feld“ und dem Datum ihrer Herstellung
betitelt. Sie suggerieren Stationen eines Lebenswegs. Fotografisch
notiert, gehen die Kompositionen von Gesehenem aus, doch nur als
Anhaltspunkt, geht es doch um die Objektivität der Malerei. Im Pinselduktus
verwandelt sich das Motiv, ausgehend von der illusionistischen
Genauigkeit der mechanisierten Sehweise. Pinselzüge unterlaufen die
Orientierung des Auges, verunklären die fotografische Illusion in der Vernetzung
der unterschiedlichen Motivebenen, verflachen den Bildraum im
Sinne einer quasi kompositionslosen Formstruktur, die über den Rand
hinaus sich ausdehnt. Serielle Momente der Linienführung, mit denen
Blätter und Zweige dargestellt scheinen, wandeln sich in anderen Gemälden
in einem fortschreitenden Prozess der Abstraktion zu unterschiedlichen
Strichlagen mit sich ähnelnden Kurvaturen. Sie lösen sich auch
durch die Veränderung des Farbspektrums weiter vom Vorbild der Fotografie
ab, werden so zu einer ermalten Meditation, die sich der gesamten
Bildfläche vergewissert. Der gegenständliche Bildanlass verliert dabei
zunehmend an Bedeutung, wichtiger wird der Prozess der Malerei. Bildfläche
und Farbstruktur scheinen immer wieder auf eine Identität aus zu
sein, gelegentliche Tiefenräumlichkeit in der Illusion ist möglich.
Damit hat Eva Rosenstiel malend zugleich das Verhältnis zum Bild für sich geklärt,
das zwar mit Raumsuggestionen arbeitet, sich von der illusionistischen
Problematik der Figur-Grund Konstellation aber befreit hat: „Was die Abstraktion
angeht: Im Grunde genommen ist jeder malerische Prozess eine Abstraktion.
Eine Art Reduzierung auf Farbe, Flecken, Punkte, Striche … ich sehe bei
der Arbeit nichts anderes – und auch später nicht. Um das vermeintlich
Gegenständliche bemüht sich dann der Bildkonsument – wenn dies sein
Wunsch ist“.
IV.
Eva Rosenstiels Spiel der Formen und Farben liegen Fragen nach den
Bedingungen der Malerei zu Grunde. So wird Farbe hier als Materie, als
autonomes Medium wahrgenommen, das der Betrachter zu sich ins Verhältnis
setzen kann. Farbe ist Medium der Suggestion der bildlichen
Erscheinung, getragen von der Lust am reinen Sehen, am Reichtum des
menschlichen gestaltenden Handelns und Erfahrens, an der Herstellung
von Bildern im kontinuierlichen Fluss des Lebens. Der Bildträger, ob
Aluminium, Glas oder auch Spiegelglas, beschneidet bei Rosenstiel
scharfkantig die Farbstruktur, die sich wie bei ihren Gräserbildern über
den Rand hinaus fortsetzen könnte. Daraus sind Serien kleinerer Gemälde
entstanden, die einzeln aber auch zu Gruppen auf der Wand zusammengesetzt
werden und so ein dialogisches Eigenleben entfalten.
In diesen unterschiedlich gestalteten Arbeiten breitet Eva Rosenstiel vielfältigste
Möglichkeiten der Malerei aus. Einmal mehr ist Farbe wichtig, ihre
Materialität, die mal lasierend, dann wieder dünnflüssig, auch als kurze
Pinselstriche in geometrisierender Reihung aufgetragen wird, in vielfarbigen
Kreisen oder freien organischen Formen über grauem Grund auf Glas
schwebt oder zu dickem Relief aufgebaut wird. Eva Rosenstiel verwendet
dabei Ölfarbe, die anders als Acryl in ihrer zähen Substanz Anforderungen
an die handwerkliche Intensität des Herstellungsprozesses stellt. Die
Dinglichkeit dieser kleinen Gemälde wird betont durch die gegenüber
dem Leinwandbild vergleichsweise starre Materialität des Malgrundes.
Die Tafeln schweben vor der Wand, gehalten durch eine schmale unsichtbare
Leiste auf der Rückseite. Es entsteht eine bildrelevante Schattenfuge,
die die Dichte der Malerei, ihre eigenwillige Haptik und Farbkraft
stützt. Zugleich wandelt Eva Rosenstiel so die Funktion des Bildes als
Träger von konkreter Farbmaterie und illusionistischem Schein in eine
eigene Symbiose zu unterschiedlichen Raumvorstellungen diesseits und
jenseits der Bildebene. Das Bild ist gleichermaßen Objekt im Raum vor
der Wand und zugleich Illusionsraum, in Farbkonstellationen und reliefierter
Oberfläche, die gelegentlich auf gedruckten fotografischen Strukturen
wie ein Schleier einen atmosphärischen Fond bieten. Zugleich bindet sie
gelegentlich durch Einsatz eines spiegelnden Grundes den Realraum fiktiv
mit ein, gewinnt eine irisierende Lichtfolie für die aufgetragenen Farben.
Der Betrachter findet sich im Bild, dessen Blick der Spiegel bricht. Die
verschiedenen Facetten, die in ihren Bildern zusammen geführt werden,
zeigen, dass sich eine ermalte Analyse der Bildwirklichkeit anbahnt. Doch
auch wenn dieser Bildprozess hier in einem Nacheinander beschrieben
ist, so entfaltet sich das Ganze doch als ein komplexes Gewebe, sind die
einzelnen Stufen im Werkprozess eng miteinander verzahnt.
Eva Rosenstiel versichert sich auf eigene Weise des Realitätsverhältnisses
von Malerei als Erfahrungsraum. Als Schülerin des Freiburger Malers
und Professors an der Akademie Karlsruhe, Peter Dreher, knüpft sie an
die Traditionen von Realismus bzw. Illusionismus an, ebenso an Fotografie
wie an konkrete und minimalistische Kunst bzw. Farbfeldmalerei. Die
Wege ihrer Bildreflexionen sind Serie und Materialvariation. Behauptet
wird ein variantenreiches Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher Haltungen,
ohne – bislang – unbedingt zu einer symbiotischen Vereinheitlichung
zu führen, die etwa auf der Deklination eines einheitlichen Farboder
Formenkanons beruht. Stattdessen blättert Eva Rosenstiel ein Konfliktfeld
auf, das in der grundsätzlichen Frage der Relevanz des gemalten
Bildes Position bezieht.
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